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Welche Person wohnt dort? Ist es eine Managerin oder eine Kurzzeitgäste?


Wer wohnt da? Eine Managerin? Eine Kurzzeitaufenthalterin?

VIDEO: Was ist Management? Unterscheidung: Organisation, Tätigkeiten, Methoden und Führungsstile
Die Merkhilfe Wirtschaft

Eine Psychologin und ein Innenarchitekt rätseln im NZZ Folio darüber, wer in diesen Räumen lebt.

Wo sitzt man mit Gästen am Wohnzimmertisch?

Wo sitzt man mit Gästen am Wohnzimmertisch?

Die Schweizer Standardküche ist sauber geputzt und aufgeräumt.

Die Schweizer Standardküche ist sauber geputzt und aufgeräumt.

Nichts Überflüssiges im Schlafzimmer.

Nichts Überflüssiges im Schlafzimmer.

Psychologin Ingrid Feigl

Eine Wohnung mit Steigerungspotential: das Nötigste – Bett, Stuhl, Spiegel – im Schlafzimmer, im Wohnzimmer sind’s schon ein paar Möbelstücke mehr, und die Küche mutet beinahe üppig bestückt an. Die Bewohnerin hat eine Vorliebe für Weiss, was der Wohnung etwas Ruhiges, Luftiges gibt, mit einem kühlen Touch.

Hier herrscht Ordnung. In der vermutlich nicht so grossen Wohnung ist alles gut vermessen und platziert – nach dem Motto «Weniger ist mehr». Im Schlafzimmer wird geschlafen, auch die schöne XL-Handtasche darf hier nächtigen, ein grosses Bild hängt an der Wand, und der Spiegel wirkt wie ein Raumvergrösserer. Nichts Überflüssiges soll die Nachtruhe stören.

Auch das Wohnzimmer scheint vor allem ein Ruheraum zu sein, mit dem grossen Sofa, ein paar Kissen für Kopf und Fuss. Hier wird ausgiebig gechillt. Aber ach, der edle Tisch ist etwas gar an die Wand und in die Ecke gedrückt! Wenn Gäste kommen, muss umgebaut werden, aber vermutlich steht hier sowieso nicht dauernd Besuch vor der Tür. Geselligkeit und Sozialleben finden wohl auswärts statt. Auch von Arbeit sieht man hier keine Spuren, es sei denn, der Laptop auf dem Tisch genüge fürs Homeoffice.

Die ganze Wohnung wirkt wie ein Raum für Rückzug und Entspannung. Profanes Alltagszeugs bleibt draussen oder ist irgendwo in den Tiefen eines nicht sichtbaren Schranks verstaut.

Die Küche macht einen recht lebendigen Eindruck, allerlei steht hier herum, sogar ein kleines Weinlager ziert das Buffet. Mit frischem Gemüse und Kräutern ernährt man sich gesund und bewusst. Aber das Brutzeln und Schmoren – wird das effizient und clean von der multifunktionalen Kochmaschine erledigt?

Überhaupt scheint die Bewohnerin eine strukturierte, effiziente Einzelperson zu sein, die ihr Leben im Griff hat, sorgfältig plant und gestaltet. Vielleicht hat sie auch einen entsprechenden Beruf und arbeitet in der Finanzwelt oder der Versicherungsbranche? Eine Managerin, die Privates und Berufliches gut zu trennen weiss? Ihren Alltag managt sie jedenfalls gut und geniesst ihren Feierabend gerne für sich.

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VIDEO: Leben für die Arbeit: Manager aus Überzeugung | Stationen
Bayerischer Rundfunk

Dieser Artikel stammt aus dem NZZ Folio vom 4. September 2023 zum Thema «Im Bundeshaus». Sie können diese Ausgabe einzeln beziehen oder das Heft abonnieren.

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Innenarchitekt Jörg Boner

Auf dem Bett gegenüber scheint eine rote Tasche auf den nächsten Ausflug zu warten. An der Wand hängt ein Bild. Die Farbe Wasserblau herrscht vor. Der Bettbezug hüllt ein dünnes Sommerduvet in der gleichen Farbe ein. Das fahle Blau und die weissen Wände definieren den Raum. Das Bett liegt auf einem Unterbau, Beine hat es keine. Der Spiegel gegenüber zeigt Kissen, die ausserhalb des Bildes liegen. Eigentlich sollte man sie nicht sehen, aber man sieht sie doch.

Im Wohnzimmer eine ähnliche Szenerie. Eine Fernbedienung liegt, wie am Abend liegengelassen, auf einem dünnen Baumwolltuch. Wo eine Fernbedienung liegt, da müsste irgendwo ein Bildschirm vorkommen. Er befindet sich ausserhalb des Fotoausschnitts. Bestimmt hängt der flache LCD-Bildschirm in grossem Format dem Sofa gegenüber an der Wand.

Wieso eigentlich liegt ein Tuch auf dem gepolsterten Sitzmöbel? Ist es zu heiss in diesen Tagen? So heiss, dass der grob karierte Möbelstoff an den nackten Beinen kratzt? Oder ist das Tuch eher ein Schutz, um das Sofa ewig neu zu belassen und ihm keine Patina zugestehen zu müssen? Auch im Wohnzimmer ein Spiegel. Hoch montiert, mit Einblick von unten, spiegelt er die weisse Zimmerdecke.

Spiegel vergrössern den Raum, sagt man. Die Wohnung scheint nicht allzu gross zu sein. Dem Esstisch wird nur wenig Platz zugestanden. Er wird vom Sofa dominiert. Es ist nicht einfach, sich vorzustellen, wie man mit Gästen an diesem Tisch sitzen will. Ein Blick in die Küche zeigt Geräte, die sich bestens eignen, um aufwendige Gerichte zu backen oder zu kochen. Ein paar Weine liegen zur Begleitung bereit. Da müssten eigentlich hin und wieder Gäste vorbeikommen. Hinter dem Sofa aber sitzen sie wohl kaum.

Auch durch die Küche scheint so etwas wie eine Mittelachse zu verlaufen. Die Dinge stehen sich gegenüber, so wie in den anderen Räumen. Auf der linken Seite glänzen die Einbauten mit Glastürchen und Schubladen, die an andere Zeiten erinnern. Rechts des Fensters hingegen brilliert die Schweizer Standardküche, sauber geputzt und aufgeräumt. Gut vorstellbar, wie es hier aussieht, wenn sie in Gebrauch ist.

In dieser Wohnung scheint ein zurückhaltender, eher scheuer Mensch zu wohnen. Die Tasche gehört vielleicht einer Frau. Wohnen tut sie dezent, unscheinbar fast. Persönliche Zeichen sind kaum erkennbar. Wird die Wohnung vielleicht möbliert vermietet? An jemand mit nur kurzer Aufenthaltsdauer, schon auf dem Sprung zur nächsten Bleibe? Aber mit wem trinkt sie die Weine?

Maria Raubo, 47, Kosmetikerin

«Ein Blick aufs Wasser,und alles ist gut»: Maria Raubo.

«Ein Blick aufs Wasser,und alles ist gut»: Maria Raubo.

«Wenn ich auf meiner Terrasse sitze und auf den Vierwaldstättersee schaue, fühle ich mich wie in den Ferien. Ich arbeite gleich gegenüber im Hotel Waldstätterhof in Brunnen als Kosmetikerin und Masseurin. Es wohnen einige Hotelmitarbeiter in diesem Haus. Im ersten Stock hat es auch Personalzimmer.

Vor Corona habe ich in Zug auch noch einen eigenen Kosmetiksalon aufgebaut. Der Zeitpunkt war etwas schwierig. Aber wer wusste das schon. Allmählich wird es. Es braucht Geduld.

Geboren und aufgewachsen bin ich in Warschau. Der Unterschied zwischen Warschau und Brunnen ist gigantisch, selbst Zürich ist für mich noch eine kleine Stadt im Vergleich zu Warschau mit vier Millionen Einwohnern. Seit dem Krieg kamen fast eine Million Ukrainer dazu. Warschau verändert sich rasch. Wenn ich nur ein Jahr nicht dort bin, erkenne ich es kaum wieder. In der Schweiz ist das anders. Hier bleibt alles gleich. Über Jahrzehnte.

Ich kam 1999 in die Schweiz. Meinen Ex-Mann, einen Polen, lernte ich bereits in Warschau kennen – er arbeitete aber in der Schweiz, darum zog ich nach der Geburt unseres Sohnes zu ihm nach Gattikon in Zürich. Es war eine schwierige Zeit für mich. Ich konnte die Sprache nicht, hatte keine sozialen Kontakte. Es dauerte viele Jahre, bis ich mich aus der Wohnung wagte. Ich bin ein herzlicher Mensch, aber ich war jung und unsicher. Deutsch lernte ich erst später durch Gespräche mit netten Leuten. Ich mag es, mit Menschen zu kommunizieren, mir ihre Sorgen und Nöte anzuhören. Offenheit ist wichtig in meinem Beruf, darum habe ich ihn gewählt. Wenn ich helfen kann, dass sich jemand besser fühlt in seiner Haut, freut mich das. Ich lackiere auch Männernägel und enthaare Männerbeine.

Ich wohne hier seit drei Jahren. Die Wohnung ist 55 Quadratmeter gross und hat 2,5 Zimmer. Einige meiner Möbel fand ich auf Internetplattformen, das ist praktisch, nicht teuer, und wenn sie mir nicht mehr gefallen, verkaufe ich sie wieder. Schade ist, dass ich in meiner kleinen Wohnung nicht genügend Platz für meinen schönen Esstisch habe, der steht einfach so an der Wand. Ein grosszügiges Wohnzimmer wäre ein Wunsch von mir und eine offene Küche, da ich gerne koche. Gemüse mit Fleisch. Suppen. Polen lieben Suppe. Ich kann jede kochen. Typisch ist zum Beispiel Salzgurkensuppe mit Kartoffeln – oh, das schmeckt. Salzgurken bekommt man in der Schweiz leider nicht, darum esse ich sie in Warschau, wenn ich meine Geschwister besuche.

Ich habe vier Geschwister, mit meinen drei Schwestern bin ich eng verbunden, mit dem Bruder weniger. Wir lebten zu siebt in einer Dreizimmerwohnung. Vor vierzig Jahren war das in Polen normal. Als Kind braucht man nicht viel Platz. Natürlich gab es auch Streit, das gehört dazu. Meine Mutter war sehr ruhig und ist nie explodiert, da bin ich schon etwas impulsiver. Mein Vater war immer bei der Arbeit in der Bäckerei, den sah ich selten.

Während des Kommunismus war die Welt vor uns verborgen, es gab kaum Spielsachen, aber die brauchten wir auch nicht. Als die Wende 1989 kam, war ich noch ein Kind. Für meine Eltern war es schwierig, vor allem die Inflation. Im Kommunismus verlor meine Mutter ihr Elternhaus, als der Staat es ihr wegnahm. Mein Vater erlitt früh einen Hirnschlag. Zehn Jahre pflegte ihn meine Mutter zu Hause, bis zu seinem Tod. Sie starb mit 66 Jahren an einem Herzinfarkt.

Ich habe Glück, Geschwister in Warschau zu haben. Aber einfach mal abends mit ihnen zusammensitzen geht leider nicht. Das fehlt mir.

Ich hätte gerne einen ehrlichen Mann an meiner Seite. Das ist gar nicht so einfach. Wenn ich von Freundinnen höre, wie schwierig es ist, jemanden kennenzulernen, der es ernst meint, verzichte ich lieber auf ein Dating-Portal. Was ich suchen würde? Einen Partner, der wie eine Freundin ist, nicht zu dünn, nicht zu jung und nett. Viele Männer in der Schweiz sind etwas verschlossen und denken, Frauen aus dem Ostblock wollten nur ihr Geld.

Wenn ich morgens vor der Arbeit noch Zeit habe, gehe ich kurz in den See, um ein wenig zu schwimmen. Aber nur schon auf der Terrasse zu sitzen und auf den See zu schauen ist Glück. Ein Blick auf das Wasser, und alles ist gut.»

Dieser Artikel stammt aus dem NZZ-Folio zum Thema «Im Bundeshaus» (erscheint am 4. September 2023). Sie können diese Ausgabe einzeln bestellen oder NZZ Folio abonnieren.

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Author: Meghan Thomas

Last Updated: 1700247122

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Name: Meghan Thomas

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Address: 0922 Lisa Mews Suite 549, Lake Karen, IN 32848

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Job: Geologist

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